Ich war immer stolz darauf gewesen, vor und hinter der Kamera für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland zu arbeiten.

Katrin Seibold

Ex-Redakteurin, -Reporterin, -Autorin und -Moderatorin Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) und 3sat

Besonders mit dem Kultursender 3sat habe ich mich identifiziert, da das Gemeinsame des deutschsprachigen Kultur- und Sprachraums mir am Herzen liegt und darin jetzt ein besonderes Potenzial zum Erhalt von Werten und zur gesellschaftlichen Veränderung liegt. Zu meinem großen Bedauern sehe ich den Auftrag, mit dem ZDF und 3sat angetreten sind, nicht mehr erfüllt.

Ich bin seit 1997 bei ARD und ZDF, in Hörfunk und Fernsehen, tätig gewesen - auch im Ausland, auf Dreh und in Auslandsstudios. Dass in diesen Strukturen offenbar etwas sehr Verkrustetes, Altes sitzt, ist mir von Anfang an aufgefallen. Es schien mir im Laufe der Zeit immer wieder undurchsichtig und unauflösbar. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, in der sich hoffentlich endlich etwas ändert. Dies sollte u. a. dadurch geschehen, dass Ehemalige und Noch-Mitarbeiter aufstehen und davon erzählen, was in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist.

Die Worte „Nestbeschmutzer“ oder „Whistleblower“ für diese Menschen zu verwenden, dient meiner Ansicht nach ihrer Abwertung oder soll sie „zum Abschuss freigeben“. Doch sollte für mich diese Informationweitergabe in einer Demokratie immer stattfinden können - für den Grundsatz der Wahrheitsfindung mittels der Meinungsfreiheit, für einen offenen kontroversen Diskurs zum Ziele eines Meinungsbildungsprozesses für die Rezipienten und der gesellschaftlichen Vielfalt und Einheit.

Ich war dabei, als Beiträge „gefaked“ wurden. Ich habe selbst als Redakteurin in der Schlussredaktion gesessen und hätte die Inhalte der tagesaktuellen Sendung gern anders gestaltet. Letztlich braucht es aber nur den einen Chef vom Dienst, der die Macht und Möglichkeit hat, die Sendung nach seinem Gutdünken zusammenzustellen. Da kann der Diskurs in der Redaktionskonferenz und die Vorbereitung durch die Planungskonferenz noch so kontrovers sein.

Natürlich sind viele Mitarbeiter daran beteiligt, dass eine gute Sendung zustande kommt. Doch die politische Ausrichtung, die Gewichtung von Themen, die Auswahl und das Einladen eines Studiogastes, die Gestaltung von Moderationen und der Einsatz sowie die Auswahl von Beiträgen liegt an einem Sendetag stark in dieser einen Hand. Im Schulterschluss mit dem Moderator kann diese eine Stimme viel lenken.

Mir wurde oft die Frage von Außenstehenden gestellt, wie es denn sein könne, dass besonders seit März 2020 mit dem Beginn von Corona so einseitig berichtet werden konnte. Die Hypothese, dass da jemand aus der Bundesregierung zum Hörer greift und im Sender durchgibt, wie berichtet werden solle, habe ich immer für sehr unwahrscheinlich gehalten und so etwas geantwortet wie: „Das kann ich mir nicht vorstellen und habe ich so nicht erlebt. Das halte ich für eine inkompetente Vorstellung von jemandem, der das System ‚Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk‘ nicht kennt. Wir Redakteure lesen die Agenturen, rezipieren die Tages- und Wochenpresse und halten natürlich Augen und Ohren in alle Richtungen offen.“ Diese meine Antwort implizierte, dass wir Berichtsfreiheit genießen.

Dennoch ist nun, bis zum Frühjahr 2022, so vieles falsch gelaufen und offensichtlich geworden, dass ich folgendes nach allen Beobachtungen und Erfahrungen für möglich halte. Chefs vom Dienst erhalten öfter, das weiß ich aus unmittelbarer Erfahrung, einen Anruf von der Hauptredaktionsleiterin oder der Redaktionsleitung, was am Tag besonders gewünscht sei. Diese Botschaft könnte möglicherweise wiederum die Marschrichtung ihres Chefredakteurs, ihres Intendanten oder der entsprechenden Partei oder Interessenvertretung im Fernsehrat entsprechen und dieser Genüge tun wollen. So einfach kann das bei einzelnen Nachrichten sein, damit sie in eine bestimmte Richtung gehen. Da kann vorher ein komplexer Meinungsbildungsprozess, eine multipolare Debatte in der Redaktion durchaus stattgefunden haben.

Es braucht also in meinen Augen nur ein paar Leitwölfe in einer Redaktion, die die mutmaßliche „Blatt- oder Senderlinie“ verinnerlicht haben. Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass sie womöglich gewissen Anreizen erliegen, und wenn das nur die internen Lorbeeren, die Anerkennung im Team oder ihrer Chefin sind. Am wirksamsten scheint es mir zu sein, wenn diese Leitwölfe dann Journalistenpreise gewinnen. Daran sehen alle: Wenn Du zum Beispiel einen Beitrag „gegen rechte Tendenzen“ oder „gegen Rassismus“ machst, dann steigst Du im Ansehen und kommst in Deiner Laufbahn als Berichterstatter nach vorn.

Was aus der Sicht der Führungskräfte mutmaßlich auch „gut“ funktioniert, ist, dass ganze Redaktionen prämiert werden. Wenn sie einen schwierigen Prozess hinter sich haben, etwa eine Umstrukturierung oder eine Personalkürzung, dann bekommen diese Redaktionen schon mal plötzlich und unerwartet einen Preis. Dass die Jury dieses Preises von Altvorderen aus ARD und ZDF besetzt ist, spielt in dem Moment kaum eine Rolle. Es gibt einen Sektempfang, organisiert von Vorgesetzten, die Presseabteilung schickt Meldungen raus, und irgendein anderes Medium berichtet darüber. Und schon hast Du möglicherweise ganz viel Gelenkschmiere in eine Mannschaft hineingegossen, die innerlich zerrissen ist, in der Grabenkämpfe stattfinden oder Einzelne mit einer „anderen Meinung“ ausgegrenzt werden.

So schafft - nach meiner Beobachtung - die Führung eine Pseudoeinheit, die dann teilweise im Inneren von einzelnen Mitarbeitern aufklafft. Mitarbeiter sind dann zwar scheinbar im Team integriert, fühlen sich aber immer mehr wie im falschen Film.

Der Redaktion „Kulturzeit“ ist genau dies widerfahren. Zuerst hatte die Redaktion zwei Chefwechsel durchlaufen. Unmittelbar danach wurde dem gesamten Team der strapaziöse Umzug aus den beliebten Zweier- und Dreierbüros in ein Großraumbüro zugemutet. Dieser Schritt war umstritten, ja, er war von vielen Redakteuren abgelehnt worden. Dennoch setzte die neue Leitung diesen Schritt so um, dass die Redakteure selbst den Umzug zu planen und umzusetzen hatten.

Schließlich, in den neuen Räumlichkeiten, hatte das neue Büro wegen der Ausdünstung von ungesunden Dämpfen für gesundheitliche Beeinträchtigungen der Redakteure gesorgt. Das ZDF hat nach umfangreichen Versuchen zur Verbesserung lieber ein zusätzliches Gutachten über die bürointernen Schadstoffwerte in Auftrag gegeben, um am Ende sagen zu können: „Die Zahlen stimmen“, anstatt die ärztlich belegten und am Krankenstand ablesbaren Beschwerden der Mitarbeiter konsequent ernst zu nehmen.

Und als dann endlich der Zeitpunkt erreicht war, wo die Redaktion aufatmen konnte, wurde plötzlich der Redaktion der „Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis“ verliehen. Diese Ehrung kam nicht nur mir vor wie eine Art Lenkungsinstrument, um offenen Unmut zu vermeiden und kritische Stimmen zu ersticken. Wenn man sich die Liste der Vereinsmitglieder des Preises ansieht, wird der Hintergrund schnell klar: Es sind fast ausschließlich Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Während der vergangenen zwei Jahre habe ich diese Entwicklung verstärkt wahrgenommen. Und auch, dass diese Entwicklung manche Mitarbeiter an den Rand der Selbstverleugnung bringt. Manche entwickeln massive Resignationsgefühle, müssen sich verstellen, fühlen sich teilweise wie schizophren oder gespalten, bekommen im schlimmsten Falle langfristige Depressionen oder gehen durch tiefe Lebenskrisen. So habe ich es in meinem Umfeld beobachtet und miterlebt.

Außerdem vermute ich: Da der öffentlich-rechtliche Rundfunk gut bezahlt und viele Mitarbeiter, wenn sie schon länger dabei sind, sich dort vertraglich relativ sicher fühlen, kündigen sie nicht. Die Nachrichten vom unsicheren Arbeitsmarkt oder aus der freien Wirtschaft - gerade zu Corona-Zeiten - tun ihr Übriges. Viele Mitarbeiter bewegen sich offenbar in einer heiteren Blase, einer seltsamen Unbekümmertheit und allgemeinen Heiterkeit im Redaktionsalltag einerseits, einem zu engen Meinungskorridor andererseits. Mir schien, viele halten die inneren Zerwürfnisse irgendwie aus, auch wenn das zunehmend schwieriger wird, - in Zeiten, wo zum Beispiel Ungeimpfte jeden Morgen ihren frischen Bürgertest schriftlich im Sekretariat abzugeben haben.

Das sah ich als „Vorgeführtwerden“ von Einzelnen, und darauf ist niemand scharf. Bei uns mussten die Geimpften ab einem gewissen Zeitpunkt ihren Nachweis im Sekretariat abgeben, was bis vor kurzem qua Gesetz eine private Information war, die den Arbeitgeber nichts anging. Nicht umsonst ist auf den ärztlichen Bescheinigungen für den Arbeitgeber bei Krankheit keine Diagnose angegeben. Hier gilt also noch das alte Recht, dass Gesundheitsinformationen eines Bürgers privat sind. Warum wurde über diese Ausgrenzung nicht systemselbstkritisch gesprochen, wo doch Journalisten qua Jobbeschreibung eklante gesellschaftliche Veränderungen in den Blick nehmen und Diskriminierung und Ausgrenzung einzelner als gesellschaftliches Faux-pas angesehen werden?

Die Öffentlich-Rechtlichen erscheinen mir umso mächtiger im Gesamtbild der Bevölkerung, je mehr Verunsicherung insgesamt herrscht. Dies gilt, weil die Hauptnachrichten der Leitmedien immer noch als „Garanten für Wahrheit“ angesehen werden. Nicht umsonst haben die etablierten großes Tageszeitung wie auch die Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen seit Beginn der Pandemie enormen Leser- bzw. Zuschauerzuwachs erhalten.

Es wird Zeit, dass ein tiefgreifender Reformprozess stattfindet. Von den Gerichten und der Politik kann dieser schwerlich ausgehen. Denn die beiden großen Volksparteien sind meines Wissens durch die Proporz-Regelung „sicher im Sattel“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Wenn der Leiter einer Abteilung konservativ-schwarz ausgerichtet ist (CDU-nah), dann muss der Stellvertreter rot (SPD-nah) sein und umgekehrt. Und das war meines Erachtens früher noch strenger geregelt als jetzt. Die Interessenvertreter im Fernsehrat sollten von einer kritischen Öffentlichkeit streng unter die Lupe genommen werden - allen voran die beiden Hauptkirchen und Vertreter der muslimischen und jüdischen Gemeinden. Wofür sie genau stehen, welche "Strippen" sie ziehen und in welche Richtung, das muss für mich von den anderen Medien, wahrhaft freien, unabhängigen Stimmen, offengelegt und diskutiert werden.

Erst, wenn alles neu sortiert ist und sich alle Menschen oder Bürger mit ihrer Ehrlichkeit und ihren wahren Wünschen, Notwendigkeiten und Anliegen darin wieder wahrgenommen fühlen, dann habe ich Hoffnung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich habe dann wieder Hoffnung, wenn Kollegen nicht mehr mutmaßlich nach der Maßgabe redaktionelle Entscheidungen fällen, ob sie weiterhin Vorteile, Privilegien, ein sicheres Gehalt haben und „schöne“, also gefällige und erwartbare Geschichten erzählen können. Ich habe dann wieder Hoffnung, wenn es allen Journalisten wieder wirklich um die Sache, um relevante Themen und echten Journalismus geht.

Der deutschsprachige Raum muss sich entscheiden, ob er sich derart leiten lassen will, von „den einzigen Behörden, die sich einen eigenen Sender leisten können“. Über diese Formulierung wird im ZDF intern regelmäßig geseufzt und geschmunzelt. Ich höre diesen Satz schon seit den 80er-Jahren, und trotzdem hat sich das im Kern nicht geändert. Der Bürger muss Gebühren zahlen, und trotzdem lenken die Mächtigen der Rundfunkanstalten ihre Schiffe in meinen Augen in Richtung privatwirtschaftlicher Medienunternehmen. So formulieren es seit Jahren Intendant und Programmdirektor. Hier sollte sich die interessierte Öffentlichkeit klar ins Gesicht sehen - ebenso wie die Politik, das Bundesverfassungsgericht und die Medienmacher selbst.

Ein Schlüssel könnte sein: Wenn alle wieder zum Wohle des Ganzen denken und handeln, dann kann sich das System von innen heraus wandeln. Solange jeder zuerst an seine eigene Selbsterhaltung und seine Vorzüge denkt, wird alles beim Alten bleiben. Da können noch so viele Demonstranten vor den Medienhäusern aufmarschieren.

Journalistisch braucht es die Anerkennung verschiedener Narrative und nicht die Verengung auf nur ein einziges Narrativ, das offenkundig die Politik nahelegt. Es geht um den Erhalt unserer demokratischen und gesellschaftlichen Grundwerte. Ob wir diese zurückholen bzw. erhalten, hängt von der öffentlichen Meinung ab. Wir Medienmacher haben eine enorme Verantwortung. Meines Erachtens ist zahlreichen Rundfunkmitarbeitern die Höhe dieser Verantwortung nicht genügend bewusst. Wären sie wirklich den Gesetzen des freien Marktes in aller Konsequenz ausgesetzt, sähe unser Rundfunkprogramm schnell anders aus.

Die Frage ist jedoch, ob wir uns das wünschen sollen. Denn der Schutz von freier Programmgestaltung, die Berichtsfreiheit von Journalisten und die Staatsferne sind ein hohes Gut. Holen wir uns dies alles zurück! Noch sind diese und andere Werte im Medienstaatsvertrag verankert. Doch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, hat Anfang Januar 2022 die Bürger dazu aufgerufen, bis Mitte Januar Vorschläge für eine Reform von ARD und ZDF einzureichen. Auf diese Weise wird sie hinterher immer sagen können: die Bevölkerung hätte ja die Chance gehabt, sich einzumischen. Die Entscheider hätten redlich versucht, die Vorschläge einzubeziehen.

Der Prozess eines Umbaues läuft also bereits – und bekanntermaßen lassen sich hier die Entscheider der Sendeanstalten und der Politik wenig in die Karten schauen. Umso wichtiger ist eine wache Öffentlichkeit, die sich nicht kurzschließt mit den Mächtigen der Öffentlich-Rechtlichen oder der Marschrichtung der Regierung, sondern die kritisch diesen Prozess mitverfolgt und eingreift.

Transparenz ist hier gefragt. Und meinungsstarke, mutige Journalisten und Bürger, die sich ihre Organe der Vierten Gewalt zurückholen. Möge dies gelingen.

[Statement vom Frühjahr 2022]

 

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