Der Kaiser ist nackt - politische Filter in den öffentlich-rechtlichen Anstalten

Nennen Sie mir ein Land, in dem Journalisten und Politiker sich vertragen – und ich sage Ihnen: Das ist keine Demokratie.

Hugh Greene,
ehem. Generaldirektor der BBC und Namensgeber der Straße des NDR‑Standorts in Hamburg‑Lokstedt (Hugh‑Greene‑Weg 1)

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben es alle vermutet und kritisch eingestellte Menschen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten haben es selbst lange Zeit und immer wieder erfahren: es gibt dort „politische Filter“, massive Eingriffe durch Vorgesetzte in die Berichterstattung der Journalisten und ein Klima der Angst.

Dies belegt eine weitere Recherche des Business Insider. Das Nachrichtenportal, das zum Axel Springer Verlag und Jeff Bezos gehört, hatte schon die RBB-Affäre um die mittlerweile gefeuerte Intendantin Patricia Schlesinger ins Rollen gebracht. Im neuen Fall zitieren die Autoren Jan C. Wehmeyer und Philip Kaleta einen internen Untersuchungsbericht des NDR. Darin ist von neun Journalisten des Landesfunkhauses in Kiel die Rede, die Missstände beim NDR angeprangert hatten.

Business Insider schreibt:
„Die ‚Berichterstattung werde teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt‘, heißt es zu den Schilderungen der Mitarbeiter in einem vertraulichen Bericht aus dem September 2021. ‚Autoren würden abgezogen und Beiträge in den Abnahmen massiv verändert.‘ Die Vorwürfe der Redakteure mündeten gar in der Behauptung, es gebe beim NDR in Kiel einen ‚politischen Filter‘, Führungskräfte würden wie ‚Pressesprecher der Ministerien‘ agieren, die kritischen Themen frühzeitig die Relevanz absprechen.“

Die neuen Vorwürfe werden den öffentlich-rechtlichen-Rundfunk heftiger ins Wanken bringen als das geölte Parkett, die Massagesitze und die gebührenfinanzierten Privatparties von Frau Schlesinger. Nun geht es ans Eingemachte: die notwendige Staatsferne, die zu garantierende Ausgewogenheit, die Unabhängigkeit der Berichterstattung.

Bisher haben ARD, ZDF und Co. ihre journalistische „Qualität“ als unantastbaren Gral hochgehalten. Doch auch diese vermeintliche Gewissheit entpuppt sich jetzt als Illusion. Dies wiederum führt zur Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk wahrhaftig reformierbar ist - oder so schnell wie möglich abgeschaltet gehört.

ARD und ZDF haben für einen Großteil der Bürger weiterhin die Deutungshoheit. Was nicht in der „Tagesschau“ läuft, hat für sie nicht stattgefunden. Wir haben es in den letzten zweieinhalb Jahren zuhauf erlebt. Und das heißt auch: Ein Ende der P(l)andemie, der Hysterie, der geschürten Angst und der Kriegstreiberei ist nur mit den Öffentlich-Rechtlichen zu erreichen.

Die Aufgaben des ÖRR sind - im Gegensatz zu denen privater Medienkonzerne - klar im Medienstaatsvertrag definiert. Dort stehen Dinge wie:

  • Die Würde des Menschen [ist] zu achten und zu schützen.
  • Die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinungen anderer [sind] zu stärken.
  • Die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote [sind] zu berücksichtigen.

Diese Grundsätze werden leider zu großen Teilen missachtet. Doch der Hebel liegt genau dort: Wir Bürger als Souverän dürfen den öffentlich-rechtlichen Apparat jetzt an seinen Auftrag erinnern. Es braucht definitiv einen Neuanfang. Und einen komplett anderen öffentlichen Rundfunk als heute.

Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit dieses Mediensystems stelle ich nicht in Frage. Die Kräfte, die es abschaffen wollen (wie z. B. der Axel Springer Verlag mit BILD, Welt und Business Insider), haben kein demokratisch orientiertes, sondern ein wirtschaftliches Interesse.

Schon weit vor Beginn von Corona, doch speziell während der P(l)andemie konnten wir beobachten, wie sich Macht, Ressourcen und Einflussnahme bei einem kleinen Teil der gesellschaftlichen Elite konzentriert haben. Demokratische Mitbestimmung, individuelle Freiheiten und die gesamte Rechtsstaatlichkeit wurden scheibchenweise reduziert. Die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - und damit der Kernidee, dass sich mündige Bürger ein Mediensystem leisten, das öffentlich und trotzdem staatsfern ist - wäre ganz im Sinne der Machtelite bzw. des autoritären Korporatismus, den wir mehr und mehr erleben.

Mein Freund und Kollege Martin Ruthenberg, der sich seit November 2021 im und außerhalb des SWR für Meinungsvielfalt und ein angstfreies Miteinander einsetzt, schreibt in einem aktuellen Brief, mit einer Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks “würden wir Bürger als Souverän der Demokratie faktisch unsere Macht aus der Hand geben und sie endgültig finanzstarken und einflussreichen Interessengruppen überlassen”. Diese Ansicht teile ich, und deshalb setze auch ich mich für den Erhalt und für eine grundlegende Neuausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein.

Es ist richtig: Durch Steuern finanzierte Medien passen nicht in eine freie Gesellschaft. Und doch brauchen wir einen gut funktionierenden ÖRR, um eine freie Gesellschaft zu bleiben bzw. tatsächlich zu einer solchen zu werden.

Über meinen Standpunkt habe ich in Paul Brandenburgs Podcast „Nacktes Niveau“ gesprochen.

Die nächsten Wochen und Monate werden ein Ringen zwischen den Kräften, die den ÖRR komplett abschaffen wollen – sie haben gerade mächtig Aufwind – und denen, die sich für einen neuen, am Gemeinwohl orientierten öffentlichen Rundfunk engagieren. Letzterer wird nur eine Chance haben, wenn in den Teppichetagen des ÖRR tatsächlich Bereitschaft zu einem radikalen Schnitt und zur Aufarbeitung der Verfehlungen existiert. Gefragt sind jetzt die Menschen in den hinteren Reihen, die die seit langem ein Unbehagen verspüren und ihre Kritik nicht länger runterschlucken möchten.

Einen Versuch ist es wert. Die Alternative wäre das Ende der Meinungsfreiheit in Europa.

Herzlich,
Ole Skambraks

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