Seit nun mehr als anderthalb Jahren mache ich beim Lesen der Nachrichten für SWR2 und SWR Aktuell einen geistigen Spagat...

Martin Ruthenberg

Nachrichtensprecher Südwestrundfunk (SWR)

...zwischen meiner persönlichen Wahrnehmung und den Inhalten, die ich als Sprecher nicht verantworte. Dabei ist es für mich immer außer Frage gestanden, dass ich dem SWR und meinen Kolleginnen und Kollegen gegenüber loyal sein möchte. Gleichzeitig ist es mir sehr schwer gefallen, täglich wiederkehrend aktuelle TodesZahlen zu verlesen; so nackt und ohne BezugsGröße verkündet geht ihr InformationsGehalt meines Wissens gegen Null. Die bedauerliche Anzahl der Toten verbreitet vor allem Angst.

Schwerer wiegt für mich allerdings das, was nicht gesagt wird, denn dies ist ja das eigentlich Interessante und Wichtige. Damit meine ich StandPunkte, die von der MehrheitsMeinung abweichen. Minderheiten hatten es noch nie leicht, zu Wort zu kommen. Seit Beginn der Krise beobachte ich eine verstärkte Tendenz, deren Meinungen - im besten Fall - zu ignorieren.

Auch sind mir immer wieder reflexhafte AbwehrReaktionen aufgefallen, SchutzMechanismen, die völlig natürlich sind, wenn wir Angst haben. Gleichzeitig ist Angst der mächtigste Hebel, um Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie nicht tun würden, solange sie sich frei und sicher fühlen. Dass wiederum andere diesen Hebel für ihre Interessen missbrauchen können, liegt für mich auf der Hand. Dies geschieht umso häufiger, je mehr Menschen in Angst leben.

Zwangsläufig wird es meiner Meinung nach in einer solchen Krise mehr ManipulationsVersuche geben, die auch mit einer Umverteilung von Macht einhergehen. Es ist also mehr Wachsamkeit geboten als sonst, nicht zuletzt auf der Seite des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch deshalb müsste es in so einer Situation mehr MeinungsVielfalt geben als sonst, und die GrundRechte müssten noch sorgsamer geschützt werden.

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